Content oder Social Media?
„Ist Content-Marketing das bessere Social Media?“ Solche oder ähnliche Fragestellungen liest man häufiger im Netz. Meiner Meinung nach ist diese Frage nach dem „Entweder-oder“ irreführend. Beides ist relevant für erfolgreiche Kommunikation. Einer der Klassiker der Kommunikationswissenschaft hat dies im Grunde schon formuliert – wenn auch mit anderen Worten. Denn die Buzzwords “Content” und “Social Media” waren zu seiner Zeit noch nicht en vogue. Paul Watzlawick unterscheidet in seinem Buch “Menschliche Kommunikation” zwischen dem Inhaltsaspekt und dem Beziehungsaspekt der Kommunikation. Beides muss für eine gelingende Kommunikation stimmen: dann klappt es auch mit den Zielgruppen.
Content: der Inhaltsaspekt
Inhalte wurden schon lange vor dem Web 2.0 produziert und verbreitet. Nur folgte diese Kommunikation in der Regel dem Prinzip Einbahnstraße: Ein Sender veröffentlicht einen Inhalt und der Empfänger rezipiert den Inhalt. Im Großen und Ganzen funktioniert dieses alte Sender-Empfänger-Modell auch heute noch so. Aber es ist, wie wir wissen, aktuell im Wandel.
Betrachten wir eine Veröffentlichung ausschließlich unter dem Inhaltsaspekt, dann bewerten wir sie als gut, wenn sie folgende Eigenschaften aufweist:
- Relevanz
- logische Schlüssigkeit
- klare Gliederung
- gute Verständlichkeit
- Wahrheit/Authentizität
etc.
Die Liste könnte man nun noch endlos fortsetzen. Und dann käme man zu so etwas wie dem Google-Qualitätsfaktor. Und das ist auch kein Wunder, denn Google verfährt bei seinen Bewertungen absolut wissenschaftlich, objektiv und logisch. Mr. Spock wäre ein idealer Chairman für Google.
Wer solch hochwertigen Content anbieten kann, hat die besten Aussichten, seine Zielgruppe zu überzeugen. Doch der Mensch lebt nicht von Argumenten allein. Und nicht nur das “Was” des Inhalts ist von Bedeutung. Mindestens ebenso wichtig ist das “Von-wem”.
Social Media: der Beziehungsaspekt
Mal angenommen, der aktuelle Cheftrainer von Bayern München gibt in den Medien seine neuesten taktischen Erkenntnisse zum Besten. Wie viele Schalker und Dortmunder Fans werden sich dafür wohl begeistern können? Selbst die besten Argumente greifen nicht, wenn man dem falschen Verein angehört – oder ganz grundsätzlich: wenn “die Chemie” nicht stimmt.
Mit dem Beziehungsaspekt befinden wir uns also im Reich der Emotion. Und der emotionale Aspekt der Kommunikation ist mindestens ebenso wichtig wie der Inhaltsaspekt. Verderbe ich es mir mit meiner Zielgruppe, dann werde ich sie mit meinem Content nicht erreichen. Oder anders herum: eine sympathische und authentische Außendarstellung hilft mir dabei, Menschen für meine Inhalte zu begeistern.
Dass Kommunikation eine emotionale Komponente hat, ist nicht wirklich neu. Image-Kommunikation und klassische Werbung arbeiten schon sehr lange mit emotionalen Mechanismen. Aber die sozialen Medien haben ein neues Paradigma eingeleitet. Sie fordern eine ganz neue Qualität der Emotionalität.
Social Media vs. Werbung
Warum funktioniert “klassische” Werbung eigentlich nicht – oder nur bedingt – in den sozialen Medien?
Erstens: weil Menschen sich in sozialen Medien aktiv austauschen und einbringen möchten.
Denn das ist ja das sensationell Neue am Web 2.0. Man ist nicht mehr Konsument, sondern Prosument. Klassische Werbung hingegen ignoriert diese Tatsache und verfährt weiter nach dem Prinzip Einbahnstraße. Was in anderen Medien und Kanälen durchaus viel Sinn macht, verfehlt hier ganz klar die Bedürfnisse der Menschen. Wenn diese Marken aufsuchen, wollen sie auch mit ihnen kommunizieren und sich nicht berieseln lassen.
Zweitens: weil authentische Kommunikation gefragt ist. Im Social Web will man sich mit echten Menschen quasi-privat treffen: also auch mit Stars und Marken zum Anfassen. Das öffentliche Image kann man auch woanders haben. In der klassischen Werbung hingegen werden Emotionen bewusst erhöht, um ihre Signalkraft und Aufmerksamkeitsstärke zu steigern. Das ist inszeniert – und das sieht man auch.
In einem Fall jedoch wirkt klassische Werbung sehr wohl: in der viralen Kommunikation. Diese arbeitet auch mit Überhöhungen und Typiken, aber so übersteigert, dass man diese Werbung unbedingt anderen zeigen möchte. Solche Anzeigen und Filme werden seit vielen Jahren auf den Werbefestspielen in Cannes laut beklatscht, sind aber in den klassischen Werbeblöcken eigentlich nie zu sehen. In den sozialen Medien erfüllen kuriose Werbe-Videos durchaus ihren Zweck, weil sie geshared werden können und man sich so bei seinen Freunden interessant bzw. sympatisch machen kann. Einen typischen Waschmittel-Spot aus dem Werbeblock möchte man nicht wirklich teilen.
Social Media und Social Media Marketing – ein Dilemma
Facebook, die derzeit größte Social Media Plattform steht vor einem Dilemma. Da wären zum einen die Bedürfnisse der Community: und diese möchte keine klassische Werbung sehen. Zum anderen wären da die Marketer, die zahlenden Facebook-Kunden: Sie suchen die Gewissheit, dass sich ihre Social Media Spendings auch auszahlen.
Welchem Herrn will Facebook dienen? Mit Werbung droht Facebook seine Community zu verprellen – ohne Werbung reduzieren sich die Erträge.
Dieses Dilemma machte sich bereits durch einen eigenartigen Schlingerkurs bemerkbar. Nachdem Facebook-Ads etabliert waren, änderte Facebook kurzerhand seinen Algorithmus, so dass die Beiträge von Freunden im Stream bevorzugt behandelt wurden. Begründet wurde dies mit der ursprünglichen Ausrichtung Facebooks als soziales Netzwerk, in dem der persönliche Austausch Vorrang vor kommerzieller Kommunikation habe.
Für die zahlende Klientel kann dies nicht befriedigend sein. Denn wozu zahlt man für sponsored Posts, wenn sie dann im Stream unter “ferner liefen” platziert werden?
Social Media Marketing – das neue Facebook?
Dennoch etabliert sich Advertising mehr und mehr bei Facebook. Zugleich kann man feststellen, dass sich auch der Charakter des Mediums zusehends verändert. Die jungen Zielgruppen wandern ab zu anderen Plattformen wie WhatsApp, Snapchat und Instagram – dorthin, wo sie zurzeit noch unter sich sind. Demgegenüber hat Facebook eine große Zuwanderung an älteren Mitgliedern zu verzeichnen, eine Zielgruppe, die noch mit klassischen Werbeformen aufgewachsen ist. Zudem spricht Facebook mit seiner „Mittelstandsoffensive“ und dem neuen Jobportal auch mehr und mehr Business-Portale an.
Wie geht es weiter mit Social Media?
Bei den neuen Plattformen steigt nun auch das klassische Marketing ein, um dort die jungen Zielgruppen zu erreichen: z. B. mit Instagram-Ads. Es fragt sich nur, wie lange sich diese neuen Plattformen dann noch in ihrer jetzigen Ausprägung halten werden. Ein wenig erinnert das Ganze an die Immobilien-Praxis. Berühmtestes Beispiel: Harlem. In den siebziger war dieser Stadtteil New Yorks zunächst stark verrufen. Dementsprechend günstig waren die Mieten, so dass sich Studenten und Künstler hier niederließen und eine schillernde Subkultur etablierten. Mit einem Mal war Harlem hip. Neuer attraktiver Wohnraum wurde geschaffen und die Immobilienpreise zogen kräftig an. So kräftig, dass das Wohnen für Studenten und Künstler unerschwinglich wurde. Die Folge: die hippen Leute zogen in den nächsten maroden Stadtteil.
Um diese stetige Abwanderungsgefahr bei den sozialen Medien zu verhindern und hier eine gewisse Konstanz in den Zielgruppen zu erreichen, muss sich das Marketing neu orientieren. Mit den Methoden des klassischen, strategischen Marketings läuft man hier Gefahr, die Zielgruppen zu verprellen. Gefordert ist deshalb eine stärkere Fokussierung auf den Beziehungsaspekt der Kommunikation.
Social Media – die unmittelbarste Kundenorientierung
Es soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass nicht auch klassisches, absatzorientiertes Marketing in den sozialen Medien funktioniert. Es soll nur kritisch hinterfragt werden, ob dies auch die nachhaltig sinnvollste Strategie ist. Einbahnstraßen-Werbung kann man schließlich auch – sogar viel besser – auf anderen Kanälen spielen.
Demgegenüber bieten die sozialen Medien die großartige Chance des dialogischen Austauschs mit der Community. Hierzu aber ist ein Vertrauensaufbau erforderlich. Nicht die kommerzielle, sondern die kommunikative Beziehung steht im Vordergrund. Es geht darum, sich auf der menschlichen Ebene näher zu kommen, sich gegenseitig zu helfen. Die Community wird eingeladen, den bzw. die Menschen hinter der Marke kennen zu lernen, einen authentischen Blick hinter die Kulissen zu gewinnen. Nicht ins Ladenlokal, sondern ins Arbeitszimmer laden wir ein. Im Idealfall setzen unsere Besucher dann die Themen und wir haben die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse aus erster Hand kennen zu lernen.
Bei Facebook lassen sich die Zielgruppen ganz präzise und ohne Streuverluste anhand ihrer Interessen filtern: ein perfektes Tool, um unsere Community zu erweitern und wenn möglich in den 1:1 Dialog mit der Zielgruppe zu gelangen. Dann können wir aus erster Hand erfahren, was unsere Zielgruppen wirklich wünschen. Näher kommt man nicht an den Kunden heran.
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