Jean-Remy von Matt hat kürzlich in einem Handelsblatt-Interview einen Vergleich zwischen Schleichwerbung und Content Marketing hergestellt, der eine weiterführende Diskussion wünschenswert macht. Denn Content Marketing bietet zweifellos die Möglichkeit, dass Werbung im Gewand des Journalismus auftritt und so ihren werblichen Charakter verschleiert. Doch warum sollte sie das tun? Was ist so schändlich daran, offen für seine Produkte zu werben?

Content vs. Werbung

Content wird häufig dadurch definiert, dass er von Werbung unterschieden wird: Content quasi als Gegenteil von Werbung. Somit ist zunächst zu klären, was Werbung ist. Bei WIkipedia lesen wir: “Als Werbung wird die Verbreitung von Informationen in der Öffentlichkeit oder an ausgesuchte Zielgruppen, zwecks Bekanntmachung, Verkaufsförderung oder Image­pflege von meist gewinnorientierten Unternehmen bzw. deren Produkten und Dienstleistungen […] verstanden. […] Sie dient sowohl der gezielten und bewussten als auch der indirekten und unbewussten Beeinflussung des Menschen zu meist kommerziellen Zwecken.”

Diese Definition sagt zunächst nichts darüber aus, welche Medien zur Verbreitung genutzt werden – Online oder Offline, Anzeige, Broschüre oder Artikel. Noch sagt sie etwas über die Qualität und den Informationsgehalt der Medien aus. Konstituierend für Werbung ist nach obiger Definition vor allem, dass sie zumeist von gewinnorientierten Unternehmen entwickelt wird und auch in der Regel kommerziellen Zwecken dient. Folgt man dieser Definition, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass es sich bei Content ebenfalls um Werbung handelt, auch wenn er sich dem Charakter redaktioneller Medien annähert.

Content vs. Redaktion

Wenn Content von Werbung abgegrenzt wird, ist damit in der Regel eine spezielle Ausprägung von Werbung gemeint: der klassische Commercial in Form eines TV-Spots, einer Anzeige eines Banners etc. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass Werbetreibende, insbesondere in der B2B-Kommunikation, immer schon informative Inhalte, also Content, für ihre Zielgruppen entwickelt haben – in Form von Broschüren, Zeitschriften etc.

Wie dem auch sei, Content distanziert sich von der als unseriös geltenden klassischen Werbung und sucht viel eher den Vergleich mit der als sehr viel seriöser geltenden Redaktion. Man möchte die Zielgruppe mit fundierten Inhalten überzeugen, statt sie mit oberflächlichen Slogans zu überreden. Doch das bringt uns wieder zu obiger Definition zurück. Denn es gibt einen ganz wesentlichen Aspekt, der Content von Redaktion unterscheidet. Während Redaktion aus der Feder unabhängiger und unparteiischer Autoren stammt, entsteht Content – ein gesonderter Fall ist User Generated Content –  in den Unternehmen selbst. Content grenzt sich zwar formal von Werbung ab, bleibt aber im Kern ganz klar Werbung mit einer kommerziellen Zielsetzung.

Content und Marketing

Spätestens wenn die Wortkombination “Content Marketing” ins Spiel kommt, wird das Bisherige bestätigt. Content ist ein strategisches Tool der Marketing-Kommunikation; präzise: der Online-Kommunikation. Der Verdruss der Web-User an der klassischen Werbung sowie der verstärkte Einsatz von Adblockern haben dazu geführt, dass Unternehmen viel stärker als in der Vergangenheit auf informative Inhalte setzen. Die klassische Werbung hat online nicht zum gewünschten Ziel geführt, demnach hat man sich den Kundenbedürfnissen angeglichen. Die strengen Qualitätsvorgaben von Google haben dann das Ihrige dazu beigetragen, dass sich die Qualität des Contents verbessern musste, um in der organischen Suche sichtbar zu sein.

Die Suchmaschinen geben uns Aufschluss darüber, welche Informationen die Zielgruppen suchen. Gutes Content Marketing zeichnet sich dadurch aus, diese gewünschten Informationen bereitzustellen. Wer die relevanteste Information anbietet, hat die besten Aussichten, seine Zielgruppe zu erreichen sowie seine Marke und seine Produkte erfolgreich zu positionieren. Die Orientierung an den Wünschen der Kunden führt demnach zum Ziel.

Werbung vs. Schleichwerbung

Auch wenn Jean-Remy von Matt den gegenteiligen Eindruck vermittelt: Das Phänomen der Schleichwerbung ist nicht neu und keineswegs eine Errungenschaft der Online-Ära und des Content Marketing. Die Tendenz einiger Werbetreibender, ihre Werbung als Redaktion zu deklarieren und ihr so den Nimbus der Objektivität zu verleihen, gab es selbstredend schon zu Print-Zeiten. Native Ads z. B. werden schon sehr lange und nach wie vor in der Pharma-Printwerbung eingesetzt. Die Vermutung, dass dem Konsumenten hier Redaktion vorgetäuscht werden soll, ist keineswegs abwegig.

Letztlich liegt es immer in der Entscheidung der Werbetreibenden, wie sie ihre Werbung gestalten: ob sie transparent kommunizieren oder Schleichwerbung betreiben wollen. Beides ist online wie offline möglich. Am Ende entscheidet der Kunde, welche Marke seine Zustimmung findet.
Langfristig dürfte es für Werbetreibende einen größeren Nutzen haben, auf Schleichwerbung zu verzichten und den Absender der Werbung, sprich: die Marke, klar zu benennen. Denn wenn es der Werbung inklusive Content Marketing darum geht, den Zielgruppen wertvolle Informationen zukommen zu lassen, warum sollte man dann verheimlichen, von wem diese stammt? Jede positive Werbemaßnahme zahlt positiv auf die Marke ein.

Werbung ist nützlich und notwendig

Werbung hat inzwischen offensichtlich einen sehr schlechten Ruf. Doch das gilt nicht für jede Art der Werbung. Das Fachorgan der Kommunikationsbranche “Horizont” veröffentlicht regelmäßig ein Stimmungsbarometer. Hier kann kann man schon seit Jahren immer wieder lesen, dass die Zielgruppen informative Werbung sehr wohl zu schätzen wissen, hingegen z. B. Fernsehwerbung zunehmend als aufdringlich empfinden.

Die Menschen wollen sehr wohl über neueste Produkte und ihre Vorteile informiert werden. Und sie müssen auch darüber informiert werden, denn woher sollen sie sonst auch wissen, dass es diese Produkte gibt? Werbung ist nützlich und notwendig. Es ist demnach nicht die Werbung per se, die in der Kritik steht, sondern nur eine spezielle mediale Darreichungsform: nämlich diejenige, die wir aus den Werbeblöcken kennen. Hier werden die Zuschauer zu Zeiten mit Werbung konfrontiert, in denen sie keinen Bedarf und kein Interesse haben. Ob sie wollen oder nicht.

Content Marketing geht hier einen erfolgreicheren Weg ist. Der Kunde bekommt auf Anfrage die Information, die er wirklich wünscht. Die klassische Werbung hingegen tut sich weiterhin schwer und verbleibt in den alten Mustern. Die Fernsehzuschauer nutzen indes die zahllosen, ungeliebten Werbe-Unterbrechungen, um sich schon einmal die Zähne zu putzen – oder sie streamen. Und die Web-User vertrauen auf Adblocker. Was spricht eigentlich gegen neue Mediakonzepte für klassische Werbung?

Content Marketing – weiter so?

Dennoch hat von Matts Kritik, Content Marketing sei Schleichwerbung, wenn auch sicher nicht in dieser Pauschalität, vielfach durchaus Berechtigung. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Grenzen zwischen Content und Redaktion zunehmend verschwimmen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Stanford-Universität zeigte erschreckende Ergebnisse: 80 % der befragten Jugendlichen konnten nicht zwischen Werbung und Nachrichten unterscheiden. Dieses Phänomen ist sicher eine Folge des überbordenden Contents im Web, wo ja inzwischen jeder ein Publizist sein kann. Fake News sind dabei eine extreme, man könnte sagen extremistische Form des Content-Missbrauchs.

Informative Werbung muss sich nicht verstecken. Content Marketing kann dazu stehen, informative Werbung zu sein und das auch offen kommunizieren. Content ist nicht mit Redaktion und Journalismus zu verwechseln und sollte auch nicht diesen Eindruck vermitteln. Redaktion und Journalismus spielen in einer ganz anderen Liga. Und in dieser Funktion werden sie auch noch gebraucht.